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Was würde Paulus heute den Gemeinden schreiben?

Geistlicher Impuls von Dr. Josef Steiner während Pontifikalvesper in der Basilika St. Bonifaz zum 80. Geburtstag von Altabt Dr. Odilo Lechner

Die Sorgen im 21. Jahrhundert kann Paulus uns nicht abnehmen, seine Zeit war anders. Aber er kann einer müden und suchenden Kirche ein paar Hinweise geben, die uns helfen. Drei aus seinen Briefen möchte ich mit Ihnen in dieser Feierstunde kurz bedenken:

1. Kritik in Liebe

2 Hört, was die Jungen sagen

3. Und Charismen entdecken und einsetzen

1. Kritik in Liebe

Dazu eine Geschichte eines Freundes. Es war am Heiligen Abend. Alle warteten gespannt. Unter dem Weihnachtsbaum bei den Geschenken lag ein Brief an den Vater, verfasst vom Achtzehjährigen Sohn, der die drei jüngeren Geschwister unterschreiben ließ. Darin schrieb er: „Du trinkst zu viel und fährst auch betrunken Auto. Wenn einmal etwas passiert, bist du ein Mörder. Du bist selten zuhause, und wenn, dann bist du ungeduldig und streng.“
Nach dem Beten und Singen, bei der Bescherung nahm der Vater den Brief, las ihn und schwieg, die gesamten Weihnachtstage hindurch. Erst nach dem Fest rief er alle Kinder zusammen, nahm den Brief, zerriss ihn und sagte: Es ist ein Pamphlet. Den Achtzehnjährigen belastete das so, dass er in seiner Verzweiflung bei seinem Beichtvater sein Herz ausschüttete. Der sagte: Du hast eine große Dummheit gemacht. Ich bewundere wie Dein Vater reagiert hat. Der junge Mann verstand die Welt nicht mehr. Was hätte ich anders machen sollen? Der Beichtvater: Du musst zuerst die Stärken deines Vaters sehen und sie ihm sagen. Dann weckst du in ihm die Kraft, sich zu ändern.
Einige Jahr später besuchte der Vater den Sohn an seinem Studienort. Sie gingen miteinander essen. Der Sohn nahm sich ein Herz und sagte zu seinem Vater: Ich bewundere dich, was du alles leistest. Wir sind vier Kinder, allen hast Du eine gute Ausbildung ermöglicht; du arbeitest Tag und Nacht; du bist politisch in der Öffentlichkeit tätig; du hast so viele Freunde. Der Vater war vollkommen überrascht und sagte: Aber schau, welche Probleme ich habe. Die Ehe ist nicht einfach. Ich habe keine Zeit für euch. Du weißt, ich trinke zu viel; ich bin fast krank. Der Vater konnte ein Bekenntnis ablegen, weil der Sohn ihm mit Anerkennung und Dankbarkeit entgegen gekommen ist.
Der Beichtvater hatte dem jungen Mann den paulinischen Weg der Kritik in Liebe ermöglicht.

Der Apostel Paulus beginnt all seine Briefe mit Worten der Anerkennung: Ich danke Gott jedes Mal, wenn ich an euch denke, ihr erwärmt mein Herz, ich staune über die Aufnahme bei euch, über eure Gastfreundschaft, eure Mühe, euer Glaube leuchtet in die Welt. Griechen und Nichtgriechen, Gebildete und Nichtgebildete nimmt er in sein Herz. „Ich liebe euch mit der Eifersucht Gottes.“ Erst dann, auf dem Hintergrund dieser Liebe, kritisiert er: die Unsensibilität der Reichen und Starken, das Übergehen und Übersehen der Armen und Schwachen, - „Wollt ihr jene demütigen, die nichts haben?“ - den Personenkult und den Streit zwischen unterschiedlichen Frömmigkeitsformen,  - „Ist denn Christus zerteilt?“
Ebenso groß spricht von seinen Schwestern und Brüdern aus dem Judentum, die seinen Weg - wir denken am heutigen Fest besonders daran -nicht verstehen und bekämpfen. Sie „haben die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst, die Verheißungen.“ Erst dann, auf dem Hintergrund dieser Liebe fragt er: Mit dieser riesengroßen Tradition, warum klammert ihr euch so am Alten fest und habt Angst vor Neuem?

Lieber Abt Odilo, Du bist ein Meister der Kritik in Liebe. Du lebst Deinen Wahlspruch. Deinem weiten Herzen haben sie und viele hier in dieser Basilika zu verdanken, dass wir Kritik einbringen und für die Kirche fruchtbar machen konnten. Und wenn Du selbst kritisch fragst, ob das Potenzial der Frauen in unserer Gemeinschaft genügend genützt wird, oder ob bei der diözesanen Strukturreform unsere Gemeinden nicht führungslos gemacht werden, dann tust Du das liebevoll, in Sorge um die Zukunft der Kirche.

2. Hört, was die Jungen sagen

Kardinal Martini war von 1980- 2002 Erzbischof von Mailand. Berühmt waren seine biblischen Katechesen. Monat für Monat hörten ihm im Dom und wegen der vielen Leute übertragen auf dem Domplatz  5000 Menschen zu, vorwiegend junge Menschen. Ein Mitbruder fragte ihn nach dem Geheimnis dieses Erfolges. Er sagte: Ich habe keines. Aber ich lade vorher ein paar Jugendliche in mein Bischofspalais ein und rede mit ihnen über die Bibelstelle. Was sie mir sagen, gebe ich dann weiter.

In dem kleinen Büchlein Jerusalemer Nachtgespräche beschreibt er, wie er einmal bei einer befreundeten Familie eingeladen ist. Und wie der Sohn des Hauses und dessen Freundin sich dann selbstverständlich in ein gemeinsames Schlafzimmer zurückziehen. Martini erlebt das mit den Eltern und redet darüber. Er schreibt: Ich kann es nicht verstehen, aber ich stelle ihre Ehrlichkeit und ihr Vertrauen zu den Eltern fest. Das gibt mir Optimismus. Ich hoffe und bete für sie, dass etwas Neues und Gutes aus ihrer Beziehung wächst. Unsere Generation musste das viel versteckter machen.

Der Graben zwischen den jungen Leuten, denen es materiell an nichts fehlt, und der Kirche mit ihren geistigen Schätzen, hat ihn umgetrieben. Im Wohlstand gefangen, abhängig vom Computer - wer spricht sie an? Wer braucht sie? Warum so viel Gleichgültigkeit? Eine alternde müde Kirche braucht dringend junge Leute. Auf die Jungen hören anstatt sie zu bepredigen - das war sein pastorales Prinzip. „Es gibt nichts Schöneres für einen Priester oder Bischof, als wenn ihm junge Menschen Fragen stellen.“

Kardinal Martini geht den Weg des Apostels Paulus, der heißt: Hören was die Jungen sagen. Was er als Pharisäer gelernt und geübt hat, jeden Tag am Abend und am Morgen auf Gott zu hören, das hat er in seiner täglichen missionarischen Arbeit umgesetzt. Alle seine Briefe sind Antworten auf Fragen. Als ein Mazedonier in dunkler Nacht ruft, komm herüber zu uns, dann hört Paulus diesen Hilferuf und bricht auf in eine neue Welt. In Philippi hört er die Einladung einer suchenden Frau und gründet in ihrem Haus eine erste Hausgemeinde. In der Hafenstadt Korinth hört er die Hilferufe gequälter und ausgebeuteter Sklaven und richtet sie auf. Wenn auf der Burg Akrokorinth 1000 junge Menschen ihren Körper den heidnischen Liebesgöttinnen und Liebesgötter prostituieren, dann hört er die Hilferufe der Korinther nach sexueller Führung und stärkt in ihnen das Bewusstsein: Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes.

Lieber Abt Odilo, Du bist ein Meister des Zuhörens. Eine Situation hat sich mir eingeprägt. Jeden Mittwochnachmittag in einem Hinterzimmer des Klosters. Unterschiedlichste Leute kommen herein: der Professor, der Student, die Krankenschwester, die Gemeindereferentin, der Kaplan, die Hausfrau, alles junge Menschen. Und dann kamst Du, in einer Kutte, in der Rechten eine Bibel, in der Linken ein Tragl Andechser. Du hast Dich hingesetzt und zugehört: den Suchenden und Fragenden, den Geknickten und Bedrückten, den Gebildeten und den Eingebildeten. Und das seit 40 Jahren. Weil Du das getan hast, hast Du uns Perspektiven aufgetan. Dein seelsorgerliches Prinzip ist: Nicht zuerst dozieren, lehren, antworten, sondern zuhören, einfühlen, verstehen. Und erst dann ein Hinweis auf einen Schritt, eine Perspektive, einen möglichen Weg.

3. Charismen entdecken und einsetzen

Das vergangene Jahr war für mich nicht einfach. Ich hatte große familiäre Sorgen. Und dann die Angst vor dem Ruhestand. Die täglichen  Gespräche mit Eltern, die der Kirche fern stehen und trotzdem ihre Kinder zur Erstkommunion führen wollen. Die Arbeit mit Gruppenleitrinnen, die skeptisch fragen: Eine Firmgruppe führen, ob ich das kann? Die angenehme Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen im Ordinariat. Das gemeinsame Suchen mit Priestern und Laien, wie denn ihre Pfarrgemeinde lebendiger werden könnte. Und mit all dem sollte Schluss sein? All das würde mir fehlen. Was soll ich tun? Wie wird die Zukunft ausschauen?
In meinem Suchen und Fragen schlug mir ein Freund vor:  Komm zweimal im Monat nach Wien und arbeite dort in meiner Bibelschule mit. Das war wie eine Erlösung. Er lud mich zu etwas ein, was ich konnte, was ich gern tat, das mich nicht überforderte, das meiner Liebe zur Bibel und dem Arbeiten mit Menschen entgegen kam.

Der Freund hat mir geholfen. Er ist mit mir den Weg des Apostels Paulus gegangen. Paulus hat dafür sogar ein eigenes Wort erfunden:  Charisma. Er hat Menschen gebraucht und hat einen Blick dafür bekommen, wer bei seinem Missionswerk mitarbeiten könnte. Jede und jeder kann zu diesem Ziel etwas beitragen. Paulus verknüpfte dabei genial die Charismen mit dem Bild des menschlichen Leibes. Er entdeckte in seinen Gemeinden Menschen mit einem guten und gütigen Auge, andere, die zuhören können, die nicht auf den Mund gefallen sind, die praktische, zugreifende Hände haben, andere, die dynamisch,  unterwegs sind, neue Schritte wagen. Die Vorsteherin soll dabei fleißig sein, der Caritashelfer barmherzig, die Pädagogin klug und der Prophet sprachmächtig. Wenn alle zusammenarbeiten, die unterschiedlichen Begabungen nicht neidisch beäugen, sondern als Gewinn sehen, wenn Solidarität die treibende Kraft ist, dann können Gemeinden wachsen.

Lieber Abt Odilo, Du hast viele Charismen entdeckt, hervorgeholt. Du hast Menschen Aufgaben gegeben, die sie nicht überfordern. Wer Bier brauen kann, wer einen Betrieb wirtschaftlich führen kann, wer sich in der Wissenschaft einer Bibliothek vertiefen will, wer Menschen geistlich führen kann, wer ein Raucherbein auszuwaschen vermag - immer hast Du den Menschen im Kloster, in der Gemeinde St. Bonifaz und außerhalb jene Aufgaben gegeben, die ihnen entsprechen.

Kritik in Liebe, Hören was die Jungen sagen, Charismen entdecken und einsetzen - Drei Anstöße des Apostels Paulus am Fest Pauli Bekehrung für eine müde und suchende Kirche. Sie umzusetzen ist unsere Bekehrung.